Wachstumsbeschleunigtes Zwitscher-Experiment

Reden wir doch mal Tacheles: Wie sieht es bei Ihnen dieses Jahr aus? Haben Sie bereits die ersten guten Vorsätze für das Neue Jahr über Bord geworfen? Oder haben Sie sich gar nichts vorgenommen? Aha! Ruhigen Gewissens verkünde ich an dieser Stelle: Ja, ich habe mich bereits eines Vorsatzes entledigt! Sehr zum Leitwesen meines Mitarbeiters, der mich mit Engelszungen versucht hat, vom „twittern“ zu überzeugen
Beim sogenannten twittern oder zwitschern teilt man der mehr oder weniger interessierten Internetgemeinde in maximal 140 Buchstaben (inklusive Leerzeichen) mit, was man gerade so macht. Sie dürfen sich meinen einzigen, unvollendeten Twitterversuch ungefähr so vorstellen:

„Bei Kerzenschein und einer Tasse Kräutertee sitzt der Abgeordnete Lotz des Abends an seinem Schreibtisch. Er hat extra den guten Füller aus der Schatulle gepackt und ein Blatt elfenbeinweißes Büttenpapier ausgebreitet. In 140 Zeichen möchte er den Menschen seine Nachrichten von großer Wichtigkeit zukommen lassen. Plötzlich bemerkt er, dass alleine der Begriff „Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums" 50 Zeichen hat."

Für mich persönlich ist der Kurzbegriff für dieses Gesetz, also das Wort „Wachstumsbeschleunigungsgesetz", das Unwort des vergangenen Jahres. Alleine in Hessen kostet dieses schwarz-gelbe Schuldenpaket dem Land und den Kommunen in den kommenden vier Jahren deutlich mehr als eine Milliarde Euro. Wäre es nicht besser, dieses Geld für Kinderbetreuungsplätze oder Polizisten zu nutzen? Oder könnten wir damit nicht wenigstens den Schuldenberg etwas reduzieren? Schreiben Sie das mal in 140 Zeichen! Ich kann es nicht, weil mir dann jedes Mal der Kragen platzen würde.

Apropos Kragen platzen, lassen Sie sich jetzt bitte mal folgenden Satz auf der Zunge zergehen: „Gegenwärtig ist der Staat ein teurer Schwächling, der sich immer mehr Einfluss anmaßt". Nein, dieser Satz stammt nicht von einem frustrierten Oppositionspolitiker, sondern von Herrn Lindner, der seit neustem Generalsekretär der FDP ist. Erst stimmt er im Bundestag für das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und dann bezeichnet er den Staat als teuren Schwächling. Diesen Humor verstehe ich leider nicht.

Wussten Sie übrigens, dass laut dem klassischen Völkerrecht drei Merkmale einen Staat ausmachen? Zum einen das Staatsgebiet. Dann eine stabile Staatsgewalt, also der Regierung (gehörte dazu nicht auch die FDP?). Zu guter Letzt macht ein Staat das Staatsvolk aus (dazu gehören Sie).

Jetzt möchte ich Sie – als Teil des Staates – zu einem kleinen Twitter-Experiment einladen: Sollten Ihre Familie, Freunde oder Arbeitskollegen in der Nähe sein, legen Sie bitte unauffällig die Kinzigtal-Nachrichten beiseite (Sie können ja nachher weiter lesen). Vorsichtig sollten Sie jedoch im Zug, im Bus oder anderswo in der Öffentlichkeit sein, denn da könnte dieses Experiment nach hinten losgehen. Machen Sie nun ein ernstes Gesicht, etwa so, als ob Sie in eine Zitrone beißen würden und gleichzeitig nießen müssten. Jetzt sagen Sie bitte laut und deutlich: „Ihr seid allesamt teure Schwächlinge!"

Sie werden über die unterschiedlichen Reaktionen sehr überrascht sein. Was Sie mit diesem Experiment erleben, schicken Sie mir bitte in 140 Buchstaben (inklusive Leerzeichen) an folgende E-Mail-Adresse: h.lotz@nullltg.hessen.de. Einige davon werde ich dann am 3. März 2010 in dieser Kolumne veröffentlichen. Glauben Sie mir, ich bin sehr gespannt auf Ihr wachstumsbeschleunigtes Gezwitscher.