
In den kommenden acht Jahren können 80 % der frei werdenden Hausarztsitze nicht nachbesetzt werden. Für uns Menschen im ländlichen Raum heißt es bei solchen Zahlen erst einmal tief durchzuatmen und die Ruhe zu bewahren. Der Wiesbadener Fachanwalt Hans-Joachim Schade hat in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zu diesem Thema ein bemerkenswertes Diskussionspapier herausgebracht. Darin heißt es, dass wir uns zu einem Bruch mit der Vergangenheit bekennen müssen und neue Konzepte anstoßen sollten. Wir müssen uns der Wahrheit stellen, dass auch bei uns einer zunehmenden Anzahl an älteren und kranken Menschen innerhalb der nächsten Jahre deutlich weniger Hausärzte zur Verfügung stehen – wenn nichts passiert.
Bereits 2010 habe ich eine schriftliche Anfrage an die Landesregierung gestellt. Ich fragte darin, wie es mit der ärztlichen Versorgung im Main-Kinzig-Kreis bestellt ist. Über 20 % der rund 250 Hausärzte im Kreis sind über 60 Jahre alt. Laut einer Studie der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung sind bundesweit sogar 50 % der Hausärzte über 55 Jahre alt und gehen bis 2020 in den wohlverdienten Ruhestand. Wir Menschen des ländlichen Raums müssen zudem die bittere Pille schlucken, dass kaum noch junge Ärzte auf dem Land leben und arbeiten wollen. Diese Erfahrung musste ich am eigenen Leib erfahren.
2008 habe ich einen Brief an alle medizinische Universitäten, Verbände und Fachzeitschriften geschrieben. Ich wollte mit meinem Schreiben vor allem die Nachwuchs-Ärzte ansprechen, um für ein Leben in unserer Region zu werben. Der Main-Kinzig-Kreis bietet gute Perspektiven. Neben seinem gesunden und natürlichen Landschaftbild und seiner Familienfreundlichkeit verfügt er auch über eine ideale und moderne Infrastruktur für weit über 400.000 Menschen. Nicht umsonst nehmen so viele von uns täglich eine lange Fahrt zur Arbeit nach Frankfurt oder Fulda in Kauf, um im Gegenzug dafür hier leben zu können. Raten Sie einmal, wie viele Antworten ich auf mein Schreiben erhalten habe?
Dennoch, wir können einfach nicht die Flinte ins Korn werfen, sondern müssen diese Herausforderung annehmen. Lassen sie uns nun die richtigen und teilweise auch schmerzhaften Schlüsse ziehen um eine gute Infrastruktur zu schaffen. Hans-Joachim Schade erkennt folgende gesellschaftliche Herausforderung: „Auch die zukünftigen Arbeitsplätze der Ärzteschaft auf dem Land und in sozial schwachen Gegenden müssen so ausgestattet sein, dass sie durch die Art der Teamstruktur und der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen es dem ärztlichen Nachwuchs interessant erscheinen lässt, dort tätig zu sein“. Geld alleine ist längst kein ausschlaggebender Motivationsfaktor mehr.
Auch sollten wir die niedergelassenen Ärzte unterstützen, gegeben falls bis zu drei ärztliche Vollzeitkräfte einzustellen. Das ist rechtich möglich. Auch die Möglichkeit – wie im Sinntal – ein Medizinisches Versorgungszentrum zu gründen, ist eine Alternative. Der hausärztliche Nachwuchs trägt so kein betriebswirtschaftliches und unternehmerisches Risiko. Aber sollte denn eine Stadt oder eine Gemeinde in Zukunft als unternehmerische Institution die ärztliche Versorgung stemmen? Es könnten auch, unter der Schirmherrschaft der jeweiligen Kommune, Genossenschaften zur Förderung der lokalen Gesundheitsversorgung gegründet werden. Das hätte den Vorteil, dass durch den Erwerb von Genossenschaftsanteilen die Interessen aller Betroffenen erfasst würden. Eine Patentlösung für alle Kommunen gibt es nicht.
„Es gilt eine Bereitschaft zu entwickeln, mit den jetzigen personellen, ökonomischen und rechtlichen Ressourcen zukunftsorientierte Lösungsansätze zu entwickeln und den neuen Realitäten ins Auge zu blicken“, schreibt Hans-Joachim Schade im Diskussionspapier der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dem stimme ich zu. Je eher wir im ländlichen Raum bereit für Veränderungen sind, desto eher werden wir auf den definitiv kommenden Hausärztemangel vorbereitet sein. Das heißt aber auch, unsere Region dem ärztlichen Nachwuchs schmackhaft zu machen.