
Demografischer Wandel: ein hässlicher, wissenschaftlicher und rein theoretischer Begriff. Warum sagt man nicht einfach Bevölkerungsentwicklung? Nichts anderes heißt es. Und selbst dann ist es nur der Verdacht, wie die Bevölkerung in der Zukunft für eine Region aussehen könnte. Man könnte auch sagen, dass es darum geht, wie viele Menschen kommen und gehen werden.
Die Gemeinde Hallstatt in Österreich hat in etwa so viele Einwohner wie die meisten Dörfer in unserer Region, nämlich knapp 800. Die Kinzigtal-Nachrichten schrieben am Montag „Chinesen klonen österreichisches Städtchen Hallstatt“. Innerhalb eines Jahres wurde in China eine Kopie des Örtchens erstellt. Noch wohnt dort niemand. Die Einwohnerzahl lautet folglich Null. Stellen wir uns nun vor, dieses neue Hallstatt stände nun im Bergwinkel. Wie könnten wir es mit Leben füllen?
Damit Menschen sich hier ansiedeln, brauchen sie neben einem Dach über dem Kopf auch einen Laden. Der Ladenbesitzer braucht Kunden, im Idealfall Kunden mit Geld. Dafür braucht man Arbeitsplätze. Entweder direkt im Ort oder in der Umgebung. Deshalb sollten die Straßen in einem guten Zustand sein, damit Geld erarbeitet werden kann. Und natürlich, damit es die Kindergärtnerin oder die Müllabfuhr in den Ort schafft. Ach ja, in unserer Region brauchen wir dringend einen funktionierenden Winterdienst. Sonst ziehen die Leute spätestens nach einem Winter lieber in die Stadt. Aber auch die Straßen des Internets sollten in einem guten Zustand sein. Nicht nur für die Unternehmen in Hallstatt im Bergwinkel, sondern auch zur Freude. Denn ohne Freude macht das Leben keinen Spaß und dann gehe ich doch lieber dahin, wo ich mich wohlfühle. Zum Wohlbefinden gehört auch ein Arzt in die Nähe. Und spätestens hier haben wir eine erste, ernstzunehmende Hürde, die mit Geld alleine nicht mehr überwindbar ist. In den kommenden acht Jahren können bundeweit 80 Prozent der frei werdenden Hausarztsitze nicht nachbesetzt werden. Der MLP Gesundheitsreport 2011 besagt, das Geld bei den jungen Medizinern längst keine entscheidende Rolle mehr spielt. Also müssen wir den jungen Ärzten und ihren Familien sagen: „Wenn du das Risiko eingehst, bei uns eine Praxis zu eröffnen oder als Arzt tätig zu werden, bieten wir dir ein gutes Leben auf dem Land. Ein Leben mit frischer Luft, netten Nachbarn, einer guten Infrastruktur, schnellem Internet und einer sehr guten Versorgung für deine Kinder“.
Merken Sie es? Alles steht mit allem in Verbindung. Wenn wir das symbolische Hallstatt im Bergwinkel besiedeln wollen, funktioniert das nur, wenn wir alles, wirklich alles im Auge behalten. Genau das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Denn es gibt keine Patentlösung. Leider! Jede Region, jedes Dorf, braucht ein eigenes Konzept. Was ist denn, wenn die Menschen in Hallstatt im Bergwinkel irgendwann immer älter werden und nur noch wenige junge Leute im Ort bleiben? Das erschwert das tägliche Leben.
Demografischer Wandel. Ich kann diesen Begriff einfach nicht leiden, weil ihn nicht jeder sofort versteht. Sollen ihn doch die Wissenschaftler benutzen. Es geht hier auch nicht darum, irgendein österreichisches Örtchen zu kopieren. Wir reden hier von lauter Originalen, um die wir uns kümmern müssen. Das neue Luxus-Hallstatt in China wurde innerhalb eines Jahres aus dem Boden gestampft. Unsere Orte brauchten meist viele hundert Jahre, bis sie so wurden, wie sie nun sind. Dementsprechend ist alles miteinander verzahnt. Sobald nur ein Element herausbricht oder entnommen wird, könnte das zu einem Funktionsverlust des Ortes führen – wenn wir dabei nicht das Ganze im Auge behalten.
Wenn wir uns positiv für die Bevölkerungsentwicklung engagieren wollen, dann geht es nicht darum, krampfhaft das Heft des Handelns in der Hand behalten zu wollen. Wir Politiker müssen einsehen, dass wir das im Alleingang schlichtweg nicht schaffen. Der Begriff mit dem hässlichen Namen „demografischer Wandel“ ist und bleibt eine Gemeinschaftsaufgabe.