Heinz Lotz: Schonzeit für den Waschbären aufheben?

Heinz Lotz, Mitglied des Hessischen Landtags

Der 12. April 1934 war für den Waschbären ein großer Tag. Denn an diesem Donnerstag setzte Forstmeister Wilhelm Freiherr Sittich von Berlepsch knapp 100 Kilometer Luftlinie von Schlüchtern entfernt am Edersee zwei Wachbärpärchen aus. Während der Spender, der Pelztierzüchter Rolf Haag, betonte, er spende die Tiere aus „reiner Freude unsere Fauna bereichern zu können“, gab es bereits damals etliche skeptische Stimmen. Diese fanden jedoch zu spät Gehör. Zum einen wurden sie erst nach der erteilten Genehmigung verfasst. Zum anderen hatte Forstmeister von Berlepsch längst vollendete Tatsachen geschaffen, indem er die Bären zwei Wochen vor der Genehmigung aussetzte. Vermutlich weil sich eine der Waschbärdamen in besseren Umständen befand und in freier Wildbahn gebären sollte.

Erst 1954 begann man den Waschbären intensiv zu jagen, mit dem Ziel ihn auszurotten. Da es mittlerweile zu viele sind, hat man sich von diesem Ziel längst verabschiedet. Nach Angaben von Jägern hat sich das Verbreitungsgebiet in den letzten sieben Jahren verdoppelt. Es wird geschätzt, dass sich über eine halbe Millionen Exemplare in Deutschland tummeln. Die meisten davon in Hessen. Kassel gilt gar als europäische Waschbär-Hauptstadt. Genaue Zahlen gibt es jedoch nicht. Fragt man das Regierungspräsidium Kassel, sind im Jahr 2015/2016 knapp 28.000 Waschbären in Hessen getötet worden. Sei es durch Jagd, Verkehr oder Krankheit. Das lässt Rückschlüsse auf den Bestand zu. Fragen sie aber bitte nicht das zuständige Umweltministerium nach dem Waschbären. Gemeinsam mit meinem Kollegen Lothar Quanz wollte ich Anfang des Jahres mal den aktuellen Sachstand zum Thema „Waschbär-Population“ in Hessen beim Umweltministerium abfragen. Üblicherweise macht man das als Abgeordneter mit einer kleinen Anfrage an die Landesregierung. Die Antwort von Ministerin Hinz verdient eigentlich nicht einmal die Bezeichnung Antwort. Es kann doch nicht sein, dass die Lektüre regionaler Zeitungen, Gespräche und Recherche im Internet behilflicher und offensichtlich kompetenter sind, als das zuständige Ministerium. Peinlich ist das! Das mag aber daran liegen, dass die Ministerin erst wenige Wimpernschläge zuvor die neue hessische Jagdverordnung in die Welt setzte. Darin wurde auch die Jagdzeit für Waschbären neu geregelt. Während die Waschbären zuvor noch unter Beachtung des Elterntierschutzes ganzjährig bejagbar waren, reduziert sich nun die Jagdzeit auf den Zeitraum vom 1. August bis zum 28. Februar. Die Jäger sorgen sich um die heimische Artenvielfalt, weil der Waschbär als Fressfeind die Hälfte des Jahres freie Bahn hat. Nun, ein halbes Jahr später, erklärt die EU den Waschbären zu einer „invasiven gebietsfremden Art“. Die Schäden des Bären und den weiteren 36 Tierarten auf der Liste kosten die EU jährlich immerhin 12 Milliarden Euro im Jahr! Da sich der Waschbär jedoch in Deutschland schon derartig ausgebreitet hat, erwartet die EU natürlich nicht, dass wir ihn ausrotten – das wäre auch gar nicht möglich. Aber eindämmen sollen wir ihn. Und hier prallen die Expertenmeinungen erneut aufeinander. Mehr Jagd oder noch weniger Jagd? Aus meiner Sicht schafft die EU-Verordnung jedoch weitere wichtige Aspekte: Haltung, Import, Verkauf und Zucht sind erheblich beschränkt. Es ist für mich sowieso unvorstellbar, wie man ein wildes Tier als Haustier halten kann. Aber auch hier gehen die Expertenmeinungen, wie bereits 1934, auseinander. Und am Ende habe ich das große Problem erkannt: Es sind die Expertenmeinungen. Anstatt eine Beschränkung der Jagdzeiten für Waschbären aus dem Ärmel zu schütteln, sollte sich das Umweltministerium die Mühe machen, gemeinsam mit den sogenannten Experten einen vernünftigen Plan für die Eindämmung des Waschbären zu erstellen. Wenn ich mir jedoch die Antwort der Ministerin auf einfachste Fragen zum Waschbären anschaue, habe ich wenig Hoffnung. Forstmeister von Berlepsch, was ging dir nur am 12. April 1934 durch den Kopf?