Heinz Lotz: Das schwarz-grüne Warten auf den Schlussgong

Als junger Heinz konnte mir die Schulglocke nie schnell genug den Schulschluss einläuten. Warum sollte ich also heute ein Plädoyer für Ganztagsschulen halten? Weil ich ein Fan von Ganztagsschulen bin – wenn sie denn gut gemacht sind. Und genau da ist des Pudels Kern. Nicht alles, was nach der sechsten Stunde in den Schulen stattfindet, ist gut gemacht. Da können meinetwegen die hessischen Grünen lamentieren wie sie wollen, aber ihr Lieblingsprojekt, der „Pakt für den Nachmittag“, hat so wenig mit guten Ganztagsschulen zu tun, wie Vitali Klitschko mit Sockenstricken. Wo kommen wir denn hin, wenn die Schule zur reinen Aufbewahrungsanstalt verkümmert. Wenn wir die Kinder in die Schule stecken, sollen sie bitteschön auch etwas Anständiges mit ihrer Zeit anfangen. Alles andere wäre nämlich den Kindern gegenüber ungerecht. Wir würden ihnen freie Zeit klauen (als jemand, der vierzig Jahre lang als Handwerker gearbeitet hat, weiß ich, wie wertvoll freie Zeit ist). So reicht es nicht zu sagen: „Die Eltern wollen arbeiten gehen, also müssen wir uns was mit den Kleinen einfallen lassen. Aber nennen wir es bloß nicht Hort, denn das will im Westen keiner hören.“ Nichts anderes ist jedoch der „Pakt für den Nachmittag“! Er trägt dazu bei, den Flickenteppich im hessischen Bildungssystem zu vergrößern. Gleichwertige Lernchancen? Pustekuchen!

Aus diesem Grund unterstütze ich die gemeinsamen Forderungen von Landesschülervertretung, Landeselternbeirat, Elternbund, Grundschulverband, Landesausländerbeirat und der GEW. Sie mahnen in einem Papier unter anderem an, dass der Pakt „lediglich eine, zumeist kostenpflichtige, nachmittägliche Betreuung, nicht aber die Entwicklung von echten rhythmisierten Ganztagsschulen“ beinhalte. Daher müsse das Schulrecht mehr echte Ganztagschulen vorsehen. Ja! Wir brauchen ein Modell, das den Nachmittag fest in den schulischen Ablauf integriert. Mit unmissverständlichen Bildungsauftrag. In unserer modernen Gesellschaft haben wir doch eigentlich längst erkannt, dass wir unsere Kinder und Teenager nicht über einen Kamm scheren können – wie es zu früheren Zeiten oftmals geschehen ist. Jeder tickt anders. Und da wir nun schon mal von dieser Erkenntnis erhellt wurden, sollten wir unserem Nachwuchs auch die bestmögliche, individuelle Förderung zukommen lassen. Hier haben die gebundenen Ganztagsschule einen ganz klaren Vorteil: Sie haben die Zeit für faire Bildungschancen. Für individuelle Lernkonzepte.

Logischerweise gibt es auch Kritikpunkte an der Ganztagsschule. Fußballvereine, Feuerwehren, Musikschulen oder Kirchen beklagen, dass der Nachwuchs verloren geht. Eltern fürchten um ihren erzieherischen und bildenden Einfluss. Schüler berichten über mehr Belastungen durch das schulische Umfeld, etwa durch Mobbing. Das müssen wir sehr ernst nehmen. Es geht jedoch auch darum, sich den Realitäten zu stellen. Wir reden immer so viel von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir können doch froh sein, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Frau am Herd stehen muss, den Haushalt schmeißt und für die Kindererziehung zuständig war. Was wenn nun beide Elternteile oder Alleinerziehende arbeiten gehen? Sei es freiwillig oder wegen der Kohle? Können wir die Kinder einfach sich selbst überlassen? Nein, wir sollten denjenigen, die Ganztagsschulen wollen, ein gutes und modernes Angebot unterbreiten.

Und eines muss auch klar sein: Wir können nicht einfach am Türschild die Öffnungszeiten ändern und fertig ist die Ganztagsschule. Wir brauchen kleinere Klassen, mehr Personal und bessere Ausstattung. Das ganze Schulsystem muss umgekrempelt werden. Vergangenen Mittwoch haben CDU und Grüne im Landtag ihre Gesetzesnovelle für das Schulgesetz präsentiert. Nun frage ich mich ernsthaft: Warum ist der Koalition aus CDU und Grünen die Ganztagsschule so egal? Ich kann es mir nur so erklären: Sie wollen keine echten Ganztagsschulen, weil sie – wie ich als Schüler – auch froh sind, wenn endlich der Schlussgong ertönt.