
Es ist kein Wort, mit dem man einen Schönheitspreis gewinnt: Lehrkräfteabschreckungsstrategie. Mit Blick auf die Schulen in Hessen passt es aber ganz gut. Erst Ende Januar hat der Sprecherrat der Grundschulleitungen in Frankfurt einen Brandbrief an das Kultusministerium geschickt. 57 Direktoren und 18 Konrektoren warnten darin vor einer kaum noch zu bewältigenden Arbeitsbelastung, sowohl in zeitlicher als auch in psychischer Dimension. Ein Frankfurter Problem? Von wegen! Auch wenn man Frankfurter Grundschulen und ländlich geprägte Grundschulen im Bergwinkel kaum miteinander vergleichen kann, sind die Grundprobleme die gleichen. Anfragen der SPD-Fraktion haben ergeben, dass es alleine in den vergangenen zwei Schuljahren rund 170 sogenannte Überlastungsanzeigen von Lehrkräften gab. Als Hauptgrund für die Überlastungsanzeige gaben die Lehrkräfte ein gestiegenes Arbeitspensum durch Zunahme der dienstlichen Aufgaben an. Alles Kokolores, meint das Kultusministerium, schließlich gehe es nicht um Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und Verbesserungsvorschläge durch die Lehrkräfte. Durch die Brille eines Juristen könne man folglich nicht von einer Überlastungsanzeige sprechen. So läuft der Hase also. Wir haben etliche Überlastungsanzeigen von Lehrern, die keine sind und eine Brandbrief von Frankfurter Grundschuldirektoren, der vermutlich auch einer genauen juristischen Betrachtung durch das Ministerium keine Sekunde standhalten würde. Und das ist der Moment, wo mir der Begriff Lehrkräfteabschreckungsstrategie wieder durch den Kopf schwirrt. Seit langem ächzen viele Lehrkräfte in Hessen unter der stetig steigenden Arbeitsbelastung. Der Lehrerberuf in Hessen ist längst nicht mehr so attraktiv und das Studium zudem noch zum Teil mit Zulassungsbeschränkungen belegt. Es rächt sich, dass es die Landesregierung versäumt hat, attraktive Bedingungen für angehende Lehrkräfte zu schaffen. Jahrelang ist zu Lasten der Lehrkräfte und ihrer Arbeitsbedingungen gespart worden, so dass sich viele junge Pädagoginnen und Pädagogen attraktivere Stellen in anderen Bundesländern suchen. Wer den Schulen und jeder einzelnen Lehrkraft immer mehr Aufgaben unter immer schlechteren Arbeitsbedingungen zuschiebt und die Beamtinnen und Beamten auch noch bei der Besoldung regelrecht schikaniert, der muss sich nicht wundern, wenn sich junge Lehrerinnen und Lehrer jenseits der Landesgrenzen einen besseren Dienstherrn suchen.
Aber das Kultusministerium hat eine Lösung. Eine Lösung die einem Offenbarungseid gleicht: Kultusminister Lorz will pensionierte Lehrerinnen und Lehrer für den Unterricht an den Grund- und Förderschulen des Landes reaktivieren. Außerdem sollen Lehrkräfte, die in den kommenden zwei Jahren in den Ruhestand gehen, gebeten werden, länger Dienst zu schieben. Diese Landesregierung hat über Jahre hinweg das Nichtstun bei der Lehrerausbildung kultiviert und tut jetzt so, als sei der Lehrermangel wie aus dem Nichts und über Nacht gekommen. Dabei weiß man doch bereits bei der Einstellung jeden einzelnen Lehrers, wann dieser das Pensionsalter erreicht. Oder sehe ich das falsch? Und um zu wissen, dass die Umsetzung der Inklusion mehr Personal braucht, braucht man kein Bildungsexperte sein. Aber statt die Ausbildung des Lehrernachwuchses zu planen und zu gestalten, hat es speziell die CDU in Hessen seit Jahrzehnten versäumt, an den Universitäten ausreichend Grund- und Förderschullehrkräfte auszubilden und die Fort- und Weiterbildung auszubauen. Um mehr Lehrkräfte zu gewinnen, müssten Aus- und Weiterbildung gestärkt, gute Arbeitsbedingungen geschaffen, das Lehramtsstudium attraktiver gestaltet und Hierarchien abgebaut werden. Alle Lehrämter sollten meiner Meinung nach gleich bezahlt und Aufstiegschancen geschaffen werden. Die Landesregierung sollte die Verantwortung für ihr Versagen übernehmen, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das wäre zumindest ein Anfang, um die steigenden Probleme bei der Lehrerversorgung anzupacken.